Auftritt Ulenspiegels vor König Philipp II.
Ulenspiegel-Aquarelle Nr. 123 bis 130. Entstehungszeit um 1935/36
Auszug aus dem Roman
Zu derselben Zeit kam Philipp, der König von England geworden war, seine künftigen Erblande Flandern, Brabant, Hennegau, Holland und Seeland besichtigen.
Er stand damals in seinem neunundzwanzigsten Jahr; in seinen mattgrauen Augen wohnte säuerlicher Trübsinn, bösartige Verstellung und grausame Entschlußkraft. Kalt war sein Gesicht, steif hielt er den mit falbem Haar bewachsenen Kopf, steif waren auch sein magerer Rumpf und seine dünnen Beine. Langsam und breiig fiel seine Rede, grad als hätt er Wolle im Mund.
Er begab sich nach Antwerpen […]. Von den „rederijkers“ (den Rhetorikerschulen) aller oder doch fast aller niederländischen Städte wurden mancherlei Festspiele veranstaltet. […] Und sie trieben harmlose Narrenpossen aller Art,
aber der König verblieb trüb und streng.
Selbigen Abends kamen der Markgraf von Antwerpen, die Bürgermeister, Hauptleute und Dechanten zusammen, um irgendeine Gaukelei ausfindig zu machen, die König Philipp zum Lachen brächte. […] [Ihr] Bote suchte [Ulenspiegel] in einer Schenke auf, wo er gerade ein Gericht Schmormuscheln schmauste und einem Mädel aus den Schalen einen Rock machte.
Ulenspiegel war entzückt, als er hörte, der Antwerpener Gemeindeeilbote sei eigens seinetwegen gekommen […]. Sie ritten von dannen. Ulenspiegel und der Eilbote jagten auf ihren beiden Pferden mit verhängtem Zügel nach Antwerpen.
Ulenspiegel erschien vor dem Markgrafen, den beiden Bürgermeistern und den Gemeinderäten. „Was gedenkst du zu tun?“ fragte ihn der Markgraf. „In die Luft zu fliegen“, antwortete Ulenspiegel. „Wie wirst du das anstellen?“ fragte der Markgraf. „Wißt Ihr, was wertloser ist wie eine geplatzte Blase?“ fragte ihn Ulenspiegel. „Mir unbekannt“, sagte der Markgraf. „Ein Geheimnis, in alle Winde gestreut“, antwortete Ulenspiegel. […]
Am selben Tage durchstreifte Ulenspiegel auf einem Esel die Stadt. […] Ulenspiegel hatte das schöne karmesinfarbene Seidenkleid angetan, das ihm die Herren der Gemeinde verabfolgt hatten. Als Kopfbedeckung trug er eine gleichfalls karmesinfarbene Kapuze, an der sich zwei Eselsohren befanden, jedes mit einer Schelle an der Spitze. Er trug eine Halskette aus kupfernen Schaumünzen, auf welchen das Antwerpener Wappen in erhabener Arbeit bossiert war. An den Ärmeln des Gewandes bimmelte vom ausgespitzten Ellenbogen ein vergoldetes Schellchen. Er hatte vergoldete Stöckelschuhe und am Sporn jedes Stöckels ein Schellchen. Sein Esel war mit karmesinfarbener Seide schabrackt, und auf jedem Schenkel war das in Feingold gestickte Antwerpner Wappen zu sehen. […]
Ulenspiegel ließ Knecht und Esel auf der Straße stehen und stieg in den Dachkandel. Dort schüttelte er seine Glöckchen, breitete die Arme ganz weit aus, als gedächte er zu fliegen, verneigte sich vor König Philipp und sagte: „Ich glaubte, in Antwerpen sei kein Narr außer mir, ich sehe aber, daß die Stadt ihrer voll ist. Wenn ihr mir gesagt hättet, ihr gedächtet zu fliegen, ich hätt es nicht geglaubt, kommt aber ein Narr und sagt, er täte es, dann glaubt ihr’s. Wie wollt ihr, daß ich fliegen soll, hab ich denn Fittiche?“ Die einen lachten, die andern fluchten, aber alle sagten: „Der Narr sagt eben doch die Wahrheit.“ König Philipp aber blieb starr wie ein Steinkönig. […]
Und sie gaben dem Ulenspiegel drei Gulden, er machte sich davon und ließ ihnen gezwungenermaßen das karmesinrote Seidenkleid zurück. „Was sind drei Gulden in der Tasche von einem jungen Fant! […]“ So redete Ulenspiegel und betrachtete eingehend seine drei Gulden.